Das sogenannte Trainspotting ist als Hobby weiter verbreitet, als man meinen könnte. Auch in Österreich gibt es hunderte Fotografen, die regelmäßig auf die Jagd nach dem perfekten Zugfoto gehen. Dabei gibt es ungefähr so viele Zugänge zur Eisenbahnfotografie, wie es Eisenbahnfotografen gibt: Einige Fotografen stehen am Bahnsteig und fotografieren oder filmen alles, was ihnen vor die Linse kommt. Einige wollen möglichst jede Lok einmal fotografiert haben. Einige rasen im Auto-Konvoi Sonderzügen (meist Nostalgiezügen) hinterher. „Kistenliebhaber“ interessieren sich ausschließlich für Güterzüge. Wieder andere – wie ich – fotografieren überhaupt keine Güterzüge. Einige Fotografen, meist Eisenbahner, verlassen sich bei der Wahl ihrer Fotomotive ausschließlich auf Insider-Infos – wann wo welche seltene (Werbe-) Lok vorbeikommt. Ich hab diese Insider-Infos in der Regel nicht und halte ohnehin am liebsten den ganz normalen Eisenbahnalltag fest. Viele Fotografen schleppen Leitern, Astscheren und Stative durch die Welt, andere nerven die Welt mit Drohnen. Ich persönlich habe nur mein Faltrad dabei.
Für mich gestaltet sich das Trainspotting als eine Mischung aus Schatzsuche und Strategiespiel: Zunächst möchte ich in der Regel selbst eine geeignete Fotostelle
finden, was mir gelingt, indem ich aus dem Zugfenster schaue und mir potenziell geeignete Orte notiere. Zuhause ziehe ich dann Seiten wie openstreetmap.org (für den Zugangsweg) und
sonnenverlauf.de (für den Sonnenstand) zurate. Vereinzelt sehe ich mir auch auf youtube Videos von Führerstands-Mitfahrten an. Eine weitere wichtige Ressource ist vagonweb.cz, wo zahlreiche
Zugbildungen zu finden sind (also welche Fahrzeuge auf welcher Verbindung eingesetzt werden).
Der perfekte Fotostandort sollte leicht erhöht sein, der Zug soll i.d.R. frontal-seitlich festgehalten werden (nicht zu seitlich). Der Hintergrund ist vorzugsweise
landschaftlich reizvoll und naturbelassen – ich möchte z.B. nach Möglichkeit keine Häuser im Bild haben. Das Ziel ist immer eine harmonische Verbindung von Natur und Technik. Die Fotostelle ist
im Optimalfall lang genug für den ganzen Zug, Kurven fotografiere ich – fast – nur von innen. Der wichtigste Punkt ist die Sonne: Front und Seite des Zuges sollten gut ausgeleuchtet sein. Die
richtige Ausleuchtung hat man bei Fotostellen für nordwärts fahrende Züge bestenfalls frühmorgens oder spätabends, bei allen anderen Stellen maximal drei Stunden pro Tag. Eine Lok mit gerundeter
Front (wie die Taurus) hat länger Sonne als eine mit Knick in der Mitte, wie ihn etwa die Loks der Reihe 1144 haben. Für gewöhnlich warte ich auf einen – fast – wolkenlosen Himmel: Die
berüchtigten Fotowolken führen allzu oft dazu, dass man einen Ausflug wiederholen muss.
Zur richtigen Zeit muss dann, sobald der richtige Ort gefunden ist, noch der richtige Zug kommen. Für mich ist das der Planverkehr (nur Personenzüge), wobei dieser
möglichst interessant sein soll: Ich fotografiere Baureihen, die eine bestimmte Strecke z.B. nur einmal täglich befahren, die kurz vor ihrer Ausmusterung stehen, die nur eine oder wenige
Fahrplanperioden lang zu Gast sind, aber auch solche, die für eine bestimmte Strecke charakteristisch sind. Wenn der Alltag auf einer Strecke aus den immer gleichen Cityjets (Baureihen 4744/4746)
besteht, fotografiere ich also auch die. Nach und nach dokumentiere ich so den Alltag auf sämtlichen in Betrieb befindlichen Strecken in Österreich.
100 % meiner Zugfotos in Österreich entstehen bei Zug- und Fahrradtouren. Für mich ist das Zügefotografieren eine schöne Gelegenheit, zwei meiner Hobbys – Züge und
Fahrräder – zu kombinieren. Häufig bin ich mit dem Faltrad unterwegs, was mir große Flexibilität ermöglicht, weil ich den Stellplatz dafür im Fernverkehr nicht reservieren muss. Für neue,
aufregende Motive klettere ich gerne auch ein bisschen im Wald herum oder schlage, wenn ein Motiv nur frühmorgens möglich ist, mein Zelt auf.
Die Herausforderungen sind jedenfalls zahlreich: Perfekte, nicht schon „ausgelutschte“ Fotostellen gibt es nur wenige, häufig muss man Kompromisse eingehen (und
entscheidet sich z.B. für einen niedrigen Standort, weil es keinen erhöhten gibt). Dazu kommen Fotowolken, Verspätungen, Zugausfälle und Züge, an denen irgendetwas „falsch ist“: Der Steuerwagen
steht außerplanmäßig voran (statt der Lok), der Zug ist mit Graffiti besprüht, die planmäßig fahrende, interessante Garnitur wird gegen eine gewöhnlichere getauscht, ein Gegenzug fährt ins Bild.
Railjet-Loks stehen in ungefähr 50 % der Fälle verkehrt, was durch die Lackierung zu einem unansehnlichen Bild führt. Einige Motive sind nur zur Sommer-Sonnenwende möglich, für andere muss man
auf die Winterzeit warten. Viele Fotostellen verändern sich durch Um- oder Neubauten (z.B. von Kunstbauten wie Brücken) oder wachsen zu. Fotostellen auf Privatgrund, Eisenbahngrund oder ohne
legale Zugangsmöglichkeit werden von mir gemieden.
Es gibt für mich keinen besseren Grund, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und neue Orte kennenzulernen.
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