Tagesrand- und Nachtverkehr

Österreich ist mit der Eisenbahn vergleichsweise gut erschlossen, wir sind aber trotzdem ein Autofahrerland. Das wird zum Beispiel dann recht deutlich, wenn Anrainer sich über nächtlichen Bahnlärm beschweren – und als Argument für die Einstellung einzelner Kurse anführen, dass spätabends verkehrende Züge „leer“ seien.


Leer sind sie nur in Ausnahmefällen, das traue ich mich als Vielfahrer, der oft auch am späten Abend unterwegs ist, behaupten. Was stimmt, ist, dass das Fahrgastaufkommen auf den Außenästen spätabends unter der Woche meist sehr gering ist. Dennoch ist der Ausbau des Tagesrandverkehrs in meinen Augen eine der größten Errungenschaften des österreichischen Schienenverkehrs der letzten Jahre.


Warum? Weil man nur dann auf ein Auto – oder wenigstens auf das Zweitauto – verzichten kann, wenn man – fast – zu jeder Uhrzeit öffentlich nachhause kommt. Wer in einem Seitental wohnt und nicht auf das gesellschaftliche Leben (Konzerte, Theater, Geburtstagspartys in der Stadt) verzichten möchte, muss nach der Veranstaltung irgendwie nachhause kommen.


Viele Jahre lang war das beinahe undenkbar. Zahlreiche an Nebenstrecken gelegene Ortschaften waren bis vor wenigen Jahren nach 20 oder 21 Uhr vom öffentlichen Verkehr abgeschnitten („Dienstruhe“; man deckte noch um die Jahrtausendwende häufig den gesamten Verkehr an einem Bahnhof mit einer überlangen Fahrdienstleiter-Schicht ab). In meinem ehemaligen Wohnort (St. Peter/Au im westlichen Mostviertel) hatten wir Glück, weil der Ort an der Westbahn lag: Um die Jahrtausendwende hatten wir eine Spätverbindung, nämlich einen Direktzug aus Wien mit Ankunft um etwa 23:15 Uhr, der in den Nachbarorten allerdings nicht hielt. Doch ab Dezember 2003 verkehrte der letzte Zug zwei Jahre lang schon um 20:14. Die Antwort des ÖBB-Kundenservice auf den Beschwerdebrief, den ich (damals 14-jährig) schrieb, habe ich bis heute abgespeichert: „In diesem Fahrplan bleibt wohl nur die Möglichkeit, nach 18:34 mit einem der Züge von Wien West nach Amstetten zu fahren und danach einen Pkw zu benützen.“ Ab Dezember 2005 gab es dann zumindest wieder einen Zug um 21:23. Seit Dezember 2019 gibt es auch am Wochenende einen Stundentakt, der Ort ist seither täglich bis 0:22 öffentlich erreichbar.


Der große Wurf im Nahverkehr gelang im Dezember 2019, als vor allem in der Ostregion die Betriebszeiten stark erweitert wurden: So verkehrte im Fahrplan 2020 der letzte Zug von Leobersdorf nach Weissenbach-Neuhaus um 23:14 (Fahrplan 2019: 21:14), von Wien Franz-Josefs-Bahnhof nach Krems um 0:05 (23:05), von St. Pölten nach Sigmundsherberg um 22:05 (20:05), von St. Pölten nach Schrambach um 22:05 (20:05) und von Pöchlarn nach Scheibbs um 23:35 (20:37). Der letzte Zug von Amstetten nach Waidhofen/Ybbs verkehrte im Fahrplan 2020 unverändert um 21:05, 2021 dann um 0:10. Der letzte Zug von Amstetten (Abfahrt 0:20) nach St. Valentin verkehrte im Fahrplan 2019 nur an Samstagen und Sonntagen, 2020 dann täglich. Insgesamt betrug das Mehrangebot im Fahrplan 2020 rund vier Millionen Zugkilometer, was lt. Andreas Matthä „die größte Ausweitung der letzten Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte“ darstellte.


Im Großraum Wien wurde der Tagesrandverkehr mit dem Fahrplan 2024 weiter verdichtet, es kamen Nachtverbindungen von Wien nach Tulln, Ebreichsdorf (–Wiener Neustadt), Neusiedl, Deutschkreutz und Stockerau dazu. Mittlerweile werden am Wochenende die Strecken Wien Leopoldau–Mödling (seit dem Fahrplan 2020; stündlich weiter nach Wiener Neustadt), Wien Hütteldorf–Handelskai (2020), Stockerau–Schwechat (2024), Wien Hütteldorf–Aspern Nord (2024) und Wien Oper–Wiener Neudorf (2024) die ganze Nacht lang im 30-Minuten-Takt bedient. Auch auf anderen Strecken rund um Wien gibt es einzelne (Wochenend-) Nachtverbindungen, viele davon schon länger.


In Tirol verkehrt am Wochenende auf der Strecke Kufstein–Innsbruck (seit dem Fahrplan 2016) bzw. Innsbruck–Landeck (seit 2018) eine Nacht-S-Bahn (im Stundentakt). Auch nach Scharnitz gibt es an den Wochenenden um 1:08 und um 3:08 noch Züge. In Kärnten verkehrt an den Sommerwochenenden eine Nacht-S-Bahn mit fünf Linien. Vom Salzburger Hauptbahnhof fährt die Nacht-S-Bahn am Wochenende Schwarzach-St. Veit, Freilassing, Straßwalchen und Lamprechtshausen/Ostermiething an. In Vorarlberg ist die Nacht-S-Bahn am Wochenende zwischen Lochau-Hörbranz und Bludenz unterwegs.


In Oberösterreich gibt es noch keine Nacht-S-Bahn, der Spätabendverkehr wurde hier erst mit dem Fahrplan 2024 erheblich ausgeweitet. In der Steiermark gibt es ebenfalls keine Nacht-S-Bahn. Abseits des Ballungsraums Graz bzw. der Südbahn ist das Angebot auch am Tagesrand teilweise noch recht bescheiden.


Auch im Fernverkehr hat sich am Tagesrand einiges getan. Der letzte Zug von Wien Hbf nach Graz verkehrte 2019 um 20:58, 2020 um 21:58, 2021 um 22:58 und 2024 um 23:24. Vom Flughafen Wien nach Linz kommt man seit dem Fahrplan 2024 noch um 0:02, der Zug erreicht Linz um 1:57 und wurde im Fahrplan 2025 nach Wels verlängert (2:15). In die Gegenrichtung gibt es seit dem Fahrplan 2018 einen Railjet, der Wels um 3:54 verlässt und den Wiener Flughafen um 5:57 erreicht. Die WESTbahn verbindet seit Dezember 2024 jede Nacht den Wiener Westbahnhof (ab 0:08) mit Salzburg (an 2:42).


Von Salzburg nach Wien kommt man seit dem Fahrplan 2023 schon um 3:11 Uhr morgens (Davor verkehrte der Nachtzug aus Bregenz, der nun nur mehr zum Aussteigen hält, in ähnlicher Zeitlage), wobei diese Fahrt der Tatsache geschuldet ist, dass die nach Deutschland verkauften WESTbahn-Garnituren zur Wartung nach Wien überstellt werden müssen. Diese Notwendigkeit entfällt mit der Umstellung auf neues Wagenmaterial ab 16.06.2025, wobei eine Fortführung dieses Zuges auf dem österreichischen Abschnitt seitens der ÖBB mit Stand Mai 2025 geplant ist. Am Wochenende gibt es seit Dezember 2024 einen neuen Spät-Railjet von München nach Wien, Ankunft am Wiener Hauptbahnhof ist um 2:20.


Amstetten ist am Wochenende schon seit langem gut an den Wiener Westbahnhof angebunden, ab September 2025 verkehrt die letzte Verbindung an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen auf dieser Strecke statt um 0:53 erst um 1:48 (Amstetten an 3:21). Eine Weiterführung dieser Verbindung nach Linz oder Wels wäre begrüßenswert.


In der Steiermark gibt es seit 2021 immerhin einen morgendlichen D-Zug von Schwarzach-St. Veit (ab 4:46) über Schladming nach Graz und seit dem Fahrplan 2023 einen späteren D-Zug von Graz nach Schladming (an 0:24; eine Stunde später verkehrt auf derselben Strecke – wie schon seit vielen Jahren – noch der Nachtzug Graz–Zürich).


Der eigentliche Nachtverkehr (Nightjet- bzw. EuroNight-Züge mit Liege- und Schlafwagen) erlebte in den letzten Jahren ebenfalls eine Renaissance, Wien ist nun über Nacht wieder mit Amsterdam, Brüssel und Paris verbunden. Einige dieser Züge spielen auch im innerösterreichischen Tagesrandverkehr eine wichtige Rolle.


Insgesamt ist die Entwicklung eine sehr positive. Wer spätabends noch öffentlich nach Hause kommt, hat in der Regel die Möglichkeit, auf ein Auto zu verzichten.


Ein weiterer Ausbau des nächtlichen Angebots wäre wünschenswert. Anbieten würden sich der Großraum Linz, der Großraum Graz und ein nächtliches Zugpaar zwischen Wien und Salzburg (Abfahrt in Salzburg z.B. um 2:11, am Wiener Hauptbahnhof z.B. um 2:55, wobei der Zug Richtung Wien auch den Flughafen anfahren sollte – es muss kein Railjet sein, ein Cityjet tut es auch). Auf besonders stark frequentierten Strecken des Nahverkehrs (etwa Wien–Wiener Neustadt) könnte man auch unter der Woche einen eingeschränkten Nachtverkehr (z.B. einen einzelnen Zug um etwa 2:30 Uhr) einführen. Der erste Zug von Wien nach Graz verlässt den Wiener Hauptbahnhof nach wie vor um 5:58 Uhr, was eine Stunde später als auf der Westbahn (wo seit dem Fahrplan 2021 der RJ 848 den Wiener Hauptbahnhof um 4:55 verlässt) und eine Stunde zu spät ist. Im Nahverkehr ist der Stundentakt zwischen 5 und 24 Uhr auf vielen Strecken zumindest an Werktagen mittlerweile Realität.

D 619 am 28.05.2023 auf der Fahrt von Schwarzach-St. Veit (ab 4:46) nach Graz

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