Am 30.09.2021 verkündete die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler den finalen Durchbruch bei den Verhandlungen mit den Bundesländern. Der Vorverkauf für das österreichweit gültige Klimaticket begann am 01.10.2021. Am österreichischen Nationalfeiertag, dem 26.10.2021, war das Ticket erstmals gültig, flächendeckend und erstmals auch in Bussen, Straßenbahnen und in der Wiener U-Bahn.
Das österreichweit gültige Öffi-Ticket hatte sich seit 2007 in diversen Regierungsprogrammen gefunden, die Verhandlungen hatten jedoch nie zum Erfolg geführt – zu
zahlreich waren die Streitpunkte zwischen den jeweiligen Koalitionspartnern, zu zersplittert das Land. 2012 wurde in Wien die Jahreskarte verbilligt (auf 365 € im Jahr), 2014 in Vorarlberg, 2017
in Tirol und 2020 in Salzburg. Auf Bundesebene stand jedoch nur die ÖsterreichCard der ÖBB zur Verfügung, die in der 2. Klasse zuletzt stolze 1.944 € kostete und mit Ausnahme der IC-Busse
Graz-Klagenfurt nur in Zügen gültig war. Es bedurfte einer grünen Umweltministerin, um Nägel mit Köpfen zu machen und alle österreichischen Bundesländer mit ihren jeweiligen Verkehrsverbünden
unter einen Hut zu bringen.
Leonore Gewessler setzte ihr Prestigeprojekt durch – gegen den erbitterten Widerstand des Landes Niederösterreich und des Wiener Bürgermeisters. Der Wiener
Bürgermeister pochte auf den von Gewessler abgesagten Bau des Lobautunnels, die traditionell eisenbahnfeindliche niederösterreichische ÖVP-Landesregierung mit Landesrat Schleritzko bediente sich
einer Verzögerungstaktik, die unter anderem darin bestand, dass man vehement den gleichzeitigen Start des bundesweiten und der regionalen Klimatickets forderte. Der burgenländische
Landeshauptmann wiederum wollte seinen Wien-Pendlern den gleichen Preis bieten, der den Niederösterreichern in Aussicht gestellt wurde (Anstatt eigener Tickets entschied man sich letztlich für
den Verkauf von Niederösterreich-Burgenland-Tickets sowie von Tickets, die im gesamten VOR gelten, also in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. Der Preis für die beiden Tickets wurde im
November 2022 sogar gesenkt).
Nach zähen Verhandlungen setzte die Umweltministerin im August 2021 alles auf eine Karte: Das Klimaticket würde am 26.10. starten, auch, wenn Busse, Straßenbahnen,
die U-Bahn sowie Privatbahnen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland vorläufig nicht mit dem Ticket benützbar sein sollten. Der Plan ging auf, Wien und Niederösterreich gaben dem Druck nach
und dem Klimaticket stand – einen Tag vor Beginn des Vorverkaufs – nichts mehr im Wege. Mit 1. Jänner 2022 waren in allen Bundesländern auch regionale Klimatickets verfügbar.
Vom ursprünglichen Plan (1 €/Tag für ein Bundesland, 2 €/Tag für zwei Bundesländer, 3 €/Tag für ganz Österreich) musste man abweichen, der Preis von 1.095 € für das
gesamte Bundesgebiet hielt jedoch. Im Oktober 2021 wurde das österreichweite Klimaticket sogar für 949 € verkauft.
Der Preis wird ab 2025 gemeinsam mit dem Verbraucherpreisindex steigen, das Klimaticket wird jedoch weiterhin um ein Vielfaches günstiger sein als der motorisierte
Individualverkehr. Nach einer Berechnung des VCÖ erspart sich jemand, der mit dem Klimaticket von Amstetten nach Wien pendelt, mehr als 5.000 € Spritkosten im Jahr.
Mit dem Klimaticket besitzt Österreich erstmals eine Jahreskarte, die (mit wenigen Ausnahmen, wie z.B. dem FlixBus oder dem City Airport Train, für die aber
gleichwertige Alternativen zur Verfügung stehen) zur Benützung sämtlicher öffentlicher Verkehrsmittel im Land berechtigt. Das ist ungeheuer bequem: Das regelmäßige Lösen von Fahrkarten entfällt
für hunderttausende Menschen im Land ersatzlos, Ärgernisse wie die Nicht-Anerkennung der meisten VorteilsCards in Bussen entfallen. Der individuelle Freiheitsgewinn der Klimaticket-Besitzer lässt
sich nicht beziffern. Es liegt auf der Hand, dass sich das Klimaticket in Zeiten der allgemeinen Teuerung für Pendler inflationsmindernd auswirkt. Ein derart nutzerfreundliches Angebot gibt es,
von einigen Großstädten oder Luxemburg abgesehen, bislang nur in der Schweiz. Jedoch ist das Schweizer Generalabonnement rund viermal so teuer wie das Klimaticket. Das Deutschlandticket
berechtigt nur zur Nutzung des Nahverkehrs.
Bis Ende 2021 wurden rund 134.000 österreichweit gültige Klimatickets verkauft, Im Oktober 2023 wurde das Klimaticket Österreich bereits von 262.000 Kunden genützt
(Nach einer Schätzung des Umweltministeriums vom Juni 2022 handelte es sich bei gut einem Drittel der damals 170.000 Klimaticketbesitzer um Neukunden, die davor weniger als 1.095 € für den
öffentlichen Verkehr ausgegeben hatten). Weitere 430.000 Kunden (Jahreskartenbesitzer der Wiener Linien nicht mitgezählt) nutzen ein regionales Klimaticket. Unter Berücksichtigung der
Jahreskartenbesitzer der Wiener Linien kommt der VCÖ auf 1,5 Millionen Jahresnetzkarten-Besitzer in Österreich. Im Fernverkehr wurde von den ÖBB 2022 bereits ein Nutzerrekord verzeichnet. Im
Nahverkehr lagen die Fahrgastzahlen 2022 allerdings noch unter dem Vor-Corona-Niveau.
Auf dem Weg zur Verkehrswende ist das Klimaticket ein wichtiger Schritt, wobei man bei einigen Punkten noch nachschärfen könnte. Etwa beim Angebot für Familien mit
Kindern: Zu Zeiten der ÖsterreichCard wurden zu einem gegenüber einer einzelnen ÖsterreichCard stark reduzierten Preis Karten an zwei Erwachsene und deren Kinder ausgegeben, wobei die Kinder die
Karten auch ohne Begleitung nutzen durften. Beim Klimaticket müssen zwei Karten zum Vollpreis erworben werden, für die Mitnahme von bis zu vier Kindern zwischen 6 und 15 Jahren muss ein Zuschlag
gezahlt werden. Fahren die Kinder ohne Begleitperson, benötigen sie ein eigenes Ticket. Die meisten Familien mit Kindern werden mit dem Klimaticket dennoch in etwa gleich gut oder, wenn sie auch
Bus/Straßenbahn/U-Bahn benutzen, besser aussteigen als mit der ÖsterreichCard.
Ein weiterer Punkt wäre ein Abo für die Fahrradmitnahme. In der Steiermark und in Salzburg ist die kostenlose Fahrradmitnahme im Nahverkehr bei Besitz eines
regionalen Klimatickets bereits inkludiert. Was das österreichweite Klimaticket betrifft, ist die Frage der Fahrradmitnahme aufgrund der unterschiedlichen Verkehrsverbünde, mit denen man sich
einigen müsste, komplex. Außerdem gibt es derzeit kaum Platz für mehr Fahrräder in den Zügen.
Der nächste Schritt auf dem Weg zur Verkehrswende ist natürlich der Angebotsausbau. Mit dem aktuellen Ausbau diverser Anrufsammeltaxi-Systeme (z.B. Postbus Shuttle,
BAST) besteht regional mittlerweile ein beachtliches Angebot. Bei steigenden Nutzerzahlen könnte ein im Vergleich zum Istzustand noch deutlich engmaschigeres Linienbusnetz (mit Buskursen auch am
Abend und am Wochenende) die Effizienz steigern. Langfristig könnten autonome Kleinbusse und neue Bahnstrecken eine flächendeckende Abdeckung gewährleisten.
Wenn das Angebot flächendeckend ausgebaut wurde, kann man über neue Push-Maßnahmen
nachdenken, um mehr Menschen zum Umstieg zu bewegen.
Die Landschaften, die mit dem Klimaticket bereist werden können, sind sogar noch schöner ;)
Kommentar schreiben